Ausbildung

«Die Klinik Meissenberg ist eine sehr gute erste Stelle als Assistenzärztin»

Dr. med. Agnes Ostermaier ist seit 2019 als Assistenzärztin in der Klinik Meissenberg tätig. Sie erklärt, wie Interdisziplinarität gelebt wird, was sie an ihrer Stelle besonders schätzt – und die Rolle des Parks in der therapeutischen Arbeit.

Sie sind seit Oktober 2019 als Assistenzärztin in der Klinik Meissenberg tätig. Was sind Ihre Aufgaben?

Agnes Ostermaier: In dieser Funktion bin ich einer Station zugeteilt, wo ich zusammen mit den Psychologinnen zuständig bin für die psychotherapeutische Betreuung der Patientinnen sowie für sämtliche medizinische Anliegen. Dazwischen bin ich in den Diensten am Abend, Wochenende und manchmal auch nachts für das ganze Haus zuständig. Selbstverständlich habe ich jederzeit die Möglichkeit, mich mit Fragen an den jeweils zuständigen Oberarzt zu wenden.

Ihr Engagement ist auf zwei Jahre beschränkt?

Nein, nicht grundsätzlich. Aber es ist vorgesehen, dass man im Rahmen der Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie während mindestens sechs Jahren an verschiedenen Orten sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich arbeitet, um die nötige Erfahrung zu sammeln. Es werden maximal zwei Jahre Tätigkeit in der Klinik Meissenberg anerkannt, man kann aber auch länger bleiben.

Warum haben Sie sich für die Klink Meissenberg als Arbeitsort entschieden?

Ich schaute mir verschiedene Kliniken an und hatte bei Meissenberg sofort ein gutes Gefühl. Ich liebe die Lage, es ist ein sympathisch kleines Haus und es ist für mich etwas Besonderes, ausschliesslich mit Frauen zu arbeiten. Das ist eine spezielle, angenehme Atmosphäre. Das sagen übrigens auch viele Patientinnen.

In der Klinik Meissenberg legt man sehr viel Wert auf die interdisziplinäre Arbeit. Was heisst das konkret?

Die verschiedenen Disziplinen sind in einem stetigen und engen Austausch. Wir sind echte Behandlungsteams, die gemeinsam für die Patientinnen da sind.

Wie ist so ein interdisziplinäres Behandlungsteam aufgebaut?

Das hängt ein wenig von der Station ab. Ich bin derzeit auf der Privatstation Haus Paracelsus. Es gibt dort zwei Psychologinnen und mich als fallführende Therapeutinnen, den Chefarzt, eine Psychologiepraktikantin, drei Spezialtherapeutinnen für Mal- und Gestaltungstherapie, Tanz und Bewegung sowie Dramatherapie, die Sozialarbeiterin und natürlich das Pflegeteam. Die Pflege hat dank des Prinzips der Bezugspflege eine sehr enge Beziehung zu den Patientinnen.

«Es ist für mich etwas Besonderes, ausschliesslich mit Frauen zu arbeiten. Das ist eine spezielle, angenehme Atmosphäre. Das sagen übrigens auch viele Patientinnen.»

Dr. med. Agnes Ostermaier

Gibt es regelmässige Treffen?

Ja, einmal pro Woche treffen sich alle Beteiligten einer Station zum interprofessionellen Rapport IPR. Während rund 1,5 Stunden besprechen wir alle Patientinnen. Zusätzlich gibt es noch mehr Austauschpunkte, jeden Morgen beispielsweise zwischen der Pflege, den Psychologinnen und Ärzten, teils mit Spezialtherapeuten.

Welche Behandlung setzen Sie persönlich um mit den Patientinnen?

Schwerpunkt ist natürlich das psychotherapeutische Gespräch. Auf der Privatstation pflegen wir einen schematherapeutischen Ansatz. Neben vielen anderen Therapien findet einmal in der Woche die Psychotherapiegruppe Schematherapie statt, die der Chef selbst führt und bei der ich auch dabei bin. Das ist für die Einzeltherapie ein sehr guter Anknüpfungspunkt. Die Einzeltherapie soll keine unabhängige Behandlung sein, sondern mit den anderen Therapien zusammenspielen.

Wie profitieren Sie persönlich in Ihrer Ausbildung vom interdisziplinären Ansatz, der in der Klinik Meissenberg so grossen Stellenwert hat?

Ich profitiere sehr stark, da ich meinen Horizont laufend erweitern kann. Ich finde es sehr spannend, unterschiedliche Ansatzpunkte kennenzulernen. Ausserdem gibt es mir ein gutes Gefühl, wenn wir gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten.

Wie selbstständig können Sie denn arbeiten?

Ich bin recht selbstständig, was mir sehr gut gefällt. Ich weiss, dass ich jederzeit fragen kann und Unterstützung bekomme, wenn ich unsicher bin oder mir einen neuen Impuls wünsche. Zusätzlich kommen regelmässig externe Psychotherapeuten für Kleingruppen- sowie Teamsupervision. Dort besprechen wir im gesamten Team interdisziplinär ein oder zwei Fälle ausgiebig.

Sie konnten auch die Abteilung wechseln in der Zeit in Meissenberg?

Ja, wie viele andere Assistenzärzte habe auch ich auf der Abteilung für Krisenbewältigung begonnen. Hier habe ich in kurzer Zeit viele unterschiedliche Patientinnen und Krankheitsbilder gesehen und entsprechend viel gelernt.

Was gefällt Ihnen hier in der Klinik Meissenberg besonders?

Die Klink ist vergleichsweise klein, es herrscht eine familiäre Stimmung mit kurzen Wegen und man begegnet sich auf Augenhöhe. Ich finde, es ist eine sehr gute erste Stelle als Assistenzärztin.

Gibt es einen strikten Ausbildungsplan für Assistenzärzte?

Ja natürlich, es gibt die Weiterbildungsordnung und das Curriculum, aber der Plan wird durchaus individuell angepasst. Ich habe den Eindruck, dass die Oberärzte und der Chef sehr genau wissen, wo ihre Assistenzärzte stehen und was ihnen zuzutrauen ist. Mir persönlich wird viel zugetraut, was ich sehr schätze.

Was ist Ihre grundsätzliche Motivation als Ärztin in der Psychiatrie?

Mir macht es grundsätzlich Freude, Menschen zu verstehen – oder es zumindest zu versuchen -, sie zu unterstützen und über einen gewissen Zeitraum zu begleiten.

Warum vermeiden Sie das Wort «helfen»?

Vielleicht, weil ich das Wort mit «Helfersyndrom» assoziiere oder es damit verbinde, dass ich etwas nur aus eigener Energie tue oder eine Lösung für jedes Problem hätte. Das ist natürlich nicht so. Ich sehe meine Aufgabe eher darin, herauszufinden, wo die jeweilige Person steht und welche Art der Unterstützung zu diesem Zeitpunkt nötig ist. Natürlich ist das nicht nur ein Begleiten, sondern das bedeutet dann auch, gegebenenfalls korrigierend einzuwirken und für neue Perspektiven zu sensibilisieren.

Ist das auch ein gewisser Eigenschutz?

Ich glaube schon, dass es wichtig ist, sich als Therapeut immer wieder bewusst zu machen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Engagieren und Loslassen. Für mich ist diese Balance wichtig, damit ich auf lange Sicht Freude an der Arbeit haben kann und nicht selbst beginne zu leiden.

Sie arbeiten im Moment bis zu acht Wochen intensiv mit einer Patientin. Da baut sich eine vertrauliche Beziehung auf. Das anschliessende Loslassen ist sicherlich nicht ganz einfach?

Das ist richtig, es ist eine sehr intensive Zeit. Aber die stationäre Betreuung ist immer zeitlich beschränkt, darauf stelle ich mich von Anfang an ein. Das ist Teil des Prozesses und diese Intensität hat auch Vorteile. Ich finde es aber tatsächlich auch sehr schön, Patientinnen über längere Zeit begleiten zu können.

«Ich glaube schon, dass es wichtig ist, sich als Therapeut immer wieder bewusst zu machen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Engagieren und Loslassen.»

Dr. med. Agnes Ostermaier

Was hat sich während Ihrer Zeit im Meissenberg für Sie persönlich verändert?

Es ist ein schönes Gefühl, mit zunehmender Erfahrung immer mehr Situationen souverän lösen zu können. Trotzdem sehe ich aber natürlich auch, dass der Lernprozess unendlich ist, nicht nur fachlich. So eine intensive Arbeit mit Menschen wirft immer wieder Fragen auf und es ist für mich wichtig, mich damit auseinanderzusetzen und austauschen zu können. 

Wir sitzen bei diesem Gespräch mitten im Park der Klinik Meissenberg. Wie wichtig ist diese wunderbare Umgebung?

Sie ist essenziell. Die Umgebung hat einen grossen Einfluss darauf, wie man sich fühlt. Ich konnte den positiven Effekt des Parks auf Patientinnen schon öfters unmittelbar beobachten. Er hilft, gerade in einer Krise den Blick zu öffnen und achtsam zu sein. Ich empfinde den Park als therapeutisch sehr unterstützend.
 

Text Hansjörg Honegger

Foto Daniel Brühlmann