Podcast: Burnout

In der siebten Folge der Planet-105-Power-Boost-Podcasts spricht Moderatorin Andrea Haefeli mit Dr. Peter Peiler über das Thema Burnout.


Hier finden Sie das komplette Interview zum nachlesen und als MP3-Download.

Moderatorin: Willkommen zum Podcast Power Boost. Mein Name ist Andrea Haefeli. Bei mir im Studio ist Dr. Peter Peiler. Er ist medizinischer Leiter und Mitglied der Geschäftsleitung in der Frauenklinik Meissenberg in Zug. Hallo Peter!

Dr. Peiler: Hallo Andrea!

Moderatorin: Heute reden wir über das Thema Burnout – auch ein sehr spannendes Thema, das gerne als Mythos abgetan wird. Viele meinen immer noch, die Leute übertreiben: Die sind gar nicht ausgebrannt, sondern einfach nur sehr gestresst. Mittlerweile ist das Thema anerkannt, aber was genau ist Burnout?

Dr. Peiler: Burnout ist ein Syndrom der Erschöpfung, sowohl körperlich als auch psychisch, und oft assoziiert mit Depressivität. Allerdings muss man es von einer Depression abgrenzen. Es ist eine Erschöpfungsentwicklung im Zusammenhang mit Alltagsbelastungen, vor allem im Beruf.

Moderatorin: Man redet schnell davon, dass dieser oder jener ein Burnout gehabt hat. Ist es tatsächlich so, dass wir mittlerweile zu viel arbeiten und damit zu viel und zu schnell gestresst sind? Oder was ist der Auslöser für ein Burnout?

Dr. Peiler: Man spricht häufig von Burnout als Mode-Diagnose. Davon kann man aber nicht sprechen, denn Burnout wurde schon sehr früh beschrieben. Johann Wolfang von Goethe hat beispielsweise höchstwahrscheinlich schon ein Burnout gehabt. Er brauchte seine italienische Reise als Timeout vom Schreiben. Es gibt auch in der Weltliteratur Beispiele: der Roman von Graham Greene von 1960 „A burnout case“ beschreibt einen ausgebrannten Architekten.

Möglicherweise sind heutzutage die beruflichen Anforderungen stärker geworden. Aber Burnout entwickelt sich aus einer Kombination: Zum einen gibt es häufig beschriebene Persönlichkeitseigenschaften, die auch als Risikofaktoren angesehen werden können (für Burnout, aber auch für andere psychische Störungen wie die Depression), zum anderen hat es auch viel mit den konkreten Arbeitsbedingungen zu tun. Es entwickelt sich aus einer Diskrepanz zwischen den eigenen Ressourcen (oder auch den eigenen persönlichen Zielen und grundsätzlichen Werten) und zu hohen Anforderungen – entweder quantitativ oder zu hohen Anforderungen emotionaler Art. Und daraus entsteht dann chronischer Stress. Burnout ist ein Syndrom und Problem, das aus chronischem Stress und emotionalen Stressbelastungen resultiert. Es geht dann über verschiedene Phasen mit körperlichen und emotionalen Symptomen einher. Letztlich ist es ein komplexer Symptom-Blumenstrauss.

Moderatorin: Wenn ich mir Leute vorstelle, die Burnout haben, sind das Menschen, die nicht loslassen können, ihre Arbeit mit nach Hause nehmen und nicht mehr gut schlafen. Eventuell haben sie sogar Essstörungen und kippen sich kurz vor einem Termin noch schnell was rein. Ich stelle mir Burnout noch viel komplexer vor als einfach nur zu viel Stress.

Dr. Peiler: Die Frage ist ja auch: Macht man sich den Stress? Die typischen Persönlichkeitszüge von anfälligen Menschen sind, dass sie ein besonders hohes Engagement und Initiative zeigen. Sie haben selbst sehr hohe Ansprüche an sich selbst – bis hin zum Perfektionismus. Häufig sind das Menschen, die keine Aufgaben abgeben und delegieren können. Sie ziehen alles an sich, weil sie glauben, sie müssten alles selber machen, denn andere könnten das nicht so gut.

Es gibt auch Menschen, die nicht «nein» sagen können. Das sind Personen, die alle Aufgaben auf sich ziehen und dann auch selbst erledigen, während andere sich besser abgrenzen können. Das sind Personen, die eine eher defensive Art der Problembewältigung haben, die dann still werden, sich zurückziehen und nicht nach vorne gehen und sagen: «Moment, das wird mir jetzt zu viel» – weil sie sich nicht trauen und es nicht in ihrer Natur liegt. Die Menschen können sich nicht richtig abgrenzen. Sie neigen dann auch dazu, die Arbeit über die Erholung zu stellen. Sie sind letztlich eher bereit, in der Arbeit aufzugehen und sie in den Vordergrund zu stellen und dafür ihr privates Wohlergehen zurückstellen.

Moderatorin: Es gibt sicher auch den einen oder anderen Assistenz-Job, bei dem man am Wochenende den Anruf oder die E-Mail vom Chef bekommt. Und dann hat man automatisch den Druck, dass man das jetzt unbedingt machen muss. Es liegt also schon auch an der Person, dass sie sich nicht abgrenzen und nicht nein sagen kann. Aber kann man solchen Personen – die sich in dieser Beschreibung jetzt wiederfinden – irgendwie helfen und deren Selbstwertgefühl stärken, damit sie auch mal «nein, ich habe jetzt keine Zeit» sagen können?

Dr. Peiler: Zum einen kann man das natürlich schon machen. Also zu schauen, wie kann ich im Rahmen meiner sozialen Kompetenz lernen, mich mehr zu behaupten? Wie kann ich mir meiner eigenen Werte und Ziele mehr bewusst werden? Und wie kann ich in solchen Situationen den Aspekt der Selbstachtung stärken? Das sind alles Dinge, die man im therapeutischen Kontext gemeinsam anschauen kann. Dazu kommt der bekannte Begriff der Work-Life-Balance: Das heisst, wie kann ich ganz gezielt lernen, mich zu entspannen und mich in meiner Freizeit nicht zurückzuziehen, sondern mich geistig zu stimulieren. Auch, wie pflege ich meinen Körper und halte ihn durch Sport und andere Aktivitäten fit – das ist besonders wichtig, um Stress abzubauen.

Aber natürlich ist es auch sehr wichtig, sich die Arbeitsbedingungen anzuschauen. Da ist auch der Arbeitgeber in der Pflicht – oder die Institution, bei der man arbeitet –, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass einem Burnout vorgebeugt wird.

Moderatorin: Kann man seinen Mitarbeitern ansehen, ob sie für ein Burnout anfällig sind? Ist Burnout ein schleichender Prozess oder kommt das von heute auf morgen? Kann man also sagen, ja, der Friedolin, der ist ein Kandidat, der Burnout hat, oder ...

Dr. Peiler: ... ist das jemand, der für eine Burnout-Entwicklung anfällig ist? Nun, wenn wir uns die Persönlichkeitsvariablen anschauen, kann man feststellen: Ok, das ist jetzt ein Charakter-Typ, der müsste mehr aufpassen als jemand, der ohnehin selbstbewusst und glücklich durch die Welt läuft und alles sehr leicht nimmt («happy go lucky» genannt). Happy-go-lucky-Menschen sind weniger dem Risiko ausgesetzt. Man kann aber auch nicht sagen, dass jemand, der sich nicht abgrenzen kann, hohes Engagement zeigt und altruistisch ist, schlechte Eigenschaften hätte, ganz im Gegenteil.

Es gib eher typische Berufsgruppen, in den vermehrt Burnout-Menschen sind. Ursprünglich hat man Burnout typischerweise in Gesundheitsberufen gefunden …

Moderatorin: … zum Beispiel?

Dr. Peiler: Ärzte, Pfleger, Krankenhauspersonal sind Menschen, die allein schon in ihrem Beruf mehr gefährdet sind, an Burnout zu leiden. Heutzutage sieht man auch viele Lehrer, Politiker oder auch Sportler. Wir erleben ja immer wieder, dass Sportler eine Auszeit brauchen, etwa Fussballtrainer und -Spieler wegen eines angeblichen Burnouts. Oder Menschen, die mit wenigen zwischenmenschlichen Kontakten arbeiten müssen und viel am PC sitzen. Auch Schüler können unter bestimmten Bedingungen in ein Burnout kommen, wenn sie dauerhaft in einer Stresssituation sind, und zu Hause und in der Schule nicht den Anforderungen genügen können wie andere Schüler. Dann entsteht ein unheimlicher Druck: Hat man einen Test geschafft, kommt am nächsten Tag direkt der nächste. Das geht über Jahre und kann in ein Burnout führen.

Es geht natürlich in bestimmten Phasen los. Am Anfang steht der chronische Stress. Dem versucht man durch noch mehr Engagement und Einsatz, einem sogenannten «Over-Commitment», zu begegnen. Das führt zur Vernachlässigung des ganzen Privatlebens und der Freizeit. Und dann kommt die Phase der Erschöpfung. Die ist verbunden mit einem sozialen Rückzug, mit einer negativen Arbeitseinstellung oder auch Konzentrationsstörungen, bei der man richtiggehend eine Ermüdung erlebt. Das geht abschliessend über in einen depressiven Symptom-Komplex, bei dem man weniger aktiv ist, emotional und oft sehr zynisch reagiert. Man ist dann in einer inneren Emigration und löst sich innerlich von der Arbeit. Die Person geht also weiter hin, ist aktiv und arbeitet weiter, aber hat eigentlich nur noch eine negative Grundeinstellung. Sie kann auch aggressiver werden oder – und das ist häufiger der Fall – auch in eine anhaltende depressive Stimmung rutschen.

Dann kommen noch die körperlichen Beschwerden hinzu, insbesondere Schlafstörungen, erhöhte Infektanfälligkeit, Allergien, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder auch Diabetes Mellitus – das sind dann aber eher Langzeitfolgen im höheren Alter. Es sind alles Reaktionen auf den chronischen Stress, der auch damit verbunden ist, dass man mehr Stresshormone (das berühmte Cortisol) über Jahre ausschüttet und damit die körperlichen Reaktionen hervorrufen. Später kann es dann passieren, dass man überhaupt keine sozialen Kontakte mehr wahrnimmt, die Arbeitsleistung total zusammenbricht und eine richtige Verzweiflung entsteht. Das ist oft assoziiert mit einer manifesten Depression, die dann – auch medikamentös – behandelt werden muss. 

Moderatorin: Du hast gerade erwähnt, dass man dann zynisch und depressiv wird und Schlafstörungen hat. Ich habe mal von einem Fall gehört, von einem der ist nach Hause gekommen und hat nicht mehr gewusst, wie er die Türen aufschliessen kann. Also eine Handlung, die er täglich macht. Eigentlich ist er im Ablauf drin und muss gar nicht mehr darüber nachdenken; macht es automatisch. Und auf einmal scheint das nicht mehr möglich. Wie kann das passieren?

Dr. Peiler: Das kann passieren im Rahmen der allgemeinen Erschöpfung, die so weit geht, dass man selbst keine Konzentrationsfähigkeit mehr für die einfachsten Tätigkeiten hat. Das muss jetzt nicht Burnout sein. Das kann auch in anderen Situationen passieren, etwa nach Schlafmangel. Wenn man die ganze Nacht nicht geschlafen oder mehrere Nächte nur wenig geschlafen hat, ist man von den kognitiven Fähigkeiten sehr stark eingeschränkt.

Moderatorin: Burnout kann ja auch – wie schon erwähnt – sehr starke gesundheitliche Probleme verursachen. Was würdest Du bei einem Fall empfehlen, wenn ein Arzt oder eine Ärztin mit Burnout zu Dir kommt? Würdest Du sie für eine Zeit lang krankschreiben oder würdest Du ihnen sogar empfehlen, sich jobmässig anders zu orientieren?

Dr. Peiler: Tja, das ist natürlich jetzt …

Moderatorin: … ja, das ist jetzt sehr unglücklich, aber es wird ja nicht besser, wenn Du in den Job zurückgehst. Die Situation wird ja die gleiche sein, oder?

Dr. Peiler: Das kann man so allgemein nicht sagen. Es hängt immer von der individuellen Situation ab. Eine Krankschreibung ist natürlich damit assoziiert, dass man eine depressive Symptomatik sieht und eine Depression durchaus diagnostizieren kann. Das erfordert auch eine Auszeit, die sehr wichtig sein kann. Es gibt auch spezialisierte Behandlungszentren mit stationären Therapien für Burnout, die mit depressiven Erkrankungen einhergehen. In der Behandlung geht es aber nicht nur darum, eine Entspannung zu finden, sondern eine Veränderung des Lebensstils zu bewirken. Es geht darum, sich über die eigenen Anfälligkeitsfaktoren, über die inneren Konflikte und über die Mechanismen, die dazu beigetragen haben, bewusst zu werden.

Das ist individuell sehr unterschiedlich und es kann natürlich sein, dass man dazu rät, den Beruf zu wechseln. Manchmal hilft es aber schon, nur die Stelle zu wechseln. Oder im Beispiel der Ärztin mit einer eigenen Praxis hilft es vielleicht schon, sich anders zu organisieren, sich Unterstützung zu suchen und seinen Arbeitsstil zu ändern. Das man also nicht mehr morgens um 2:00 Uhr zum Hausbesuch fährt, wenn man gerufen wird. Da geht es um die Abgrenzungsfähigkeit und dass man diese verändert. Daher fällt es mir schwer, das so ganz allgemein zu beantworten. Die Kombination aus einer Veränderung der Arbeitsbedingungen, dem nach innen schauen (in meine inneren Konflikte und Werte), wie ich mit mir sorgsam umgehe, das aktive Arbeiten mit Sport und Entspannungstrainings und andere Therapieverfahren, die machen dann das Bemühen aus, aus dem Burnout herauszukommen.

Moderatorin: Ich stelle mir das ja extrem schwierig vor: Man hat ja einen bestimmten Charakter und seine Art, wie man lebt. Wenn man Burnout hat, muss man ja sein ganzes Leben komplett umstellen und sein Denken anpassen. Wie Du gesagt hast: wenn man um 2:00 Uhr einen Anruf bekommt zu sagen: Nein, das mache ich jetzt nicht. Aber bis man zu dem Punkt kommt, dass man dann «nein» sagen kann, ist das ja ein riesiger Zeitaufwand. Dafür muss man ja schon sehr an sich selbst arbeiten.

Dr. Peiler: Ja, das stimmt. Aber ob wir wollen oder nicht, wir arbeiten sowieso ein Leben lang an unserer eigenen Person. Das passiert ohnehin und kann auch ein sehr befreiender Prozess sein. Und eventuell muss man gar nicht so sehr viel ändern. Es geht aus meiner Sicht prinzipiell darum, wie ich etwas mache. Es geht nicht nur um das was und ob ich zu viel und zu wenig mache. Es gibt Menschen, die sehr viel arbeiten und nie in eine Stresssituation hineinkommen. Die machen es anders und wie sieht das konkret aus? Vielleicht mit mehr Leichtigkeit und mehr Freude und Lust im Erleben. Wenn eine Patientin zu mir kommt, würde ich ihr nicht sagen, sie müsse ihr Leben jetzt komplett ändern. Sondern: Lassen sie uns schauen, wo der Hund vielleicht begraben liegt und wie sie in diesen dauerhaften Stress gekommen sind. Was können sie ändern und was braucht es sonst für Veränderungen in ihrem Umfeld, damit ihr Lebensbedingungen sich verbessern.

Moderatorin: Es scheint auch sehr viele Leute zu geben, die mit ihrem Job eher unglücklich sind. Sie bekommen ihr Geld und oft auch ein gutes Gehalt, können sich mit der Arbeit aber gar nicht identifizieren und freuen sich morgens auch nicht, zur Arbeit zu gehen. Ich glaube, wenn man viel Spass an der Arbeit hat, ist das schon noch was Besonderes und bringt dadurch einen gewissen Schutz.

Dr. Peiler: Es ist halt wichtig, sich die Arbeitsbedingungen anzuschauen. Dinge, die dazu beitragen können, dass man in ein Burnout kommt, zeigen, dass die Anforderungen schlichtweg zu hoch sind. Oder dass man in seiner Tätigkeit nicht genügend Freiheiten hat, zu stark begrenzt und eingeschränkt ist. Auch dass man nicht wirklich an einem Prozess teilnehmen kann, sondern nur Befehle ausführen muss. Oder das Thema Feedback: Oft wird man zu wenig belohnt für das, was man tut. Im Krankenhaus muss man oft lernen, dass man ohne Feedback einen guten Job macht. So soll es natürlich nicht sein.

Auch der Aspekt der sozialen Unterstützung, den man braucht. Wenn man bei der Zusammenarbeit mit anderen immer das Gefühl hat, alle arbeiten nur für sich und alle müssen nur leisten, leisten, leisten, ohne sich auszutauschen und gegenseitig unterstützen zu können, dann ist das auch nicht gut. Deswegen habe ich ja auch eingangs gesagt, dass es wichtig ist, die Arbeitsbedingungen und wie man mit seinen Leuten umgeht auch von der Arbeitgeberseite her anzuschauen.

Moderatorin: Vielen herzlichen Dank, Peter, für das sehr interessante Gespräch. Vielen Dank!