Podcast: Depression

In der ersten Folge der Planet-105-Power-Boost-Podcasts spricht Moderatorin Andrea Haefeli mit Dr. Peter Peiler über das Thema Depression.


Hier finden Sie das komplette Interview zum nachlesen und als MP3-Download.

Moderatorin: Herzlich willkommen zum Podcast Power Boost. Mein Name ist Andrea Haefeli. Bei mir im Studio ist Peter Peiler. Er ist Chefarzt in der Frauenklinik Meissenberg in Zug. Guten Tag Peter!

Dr. Peiler: Guten Tag Andrea!

Moderatorin: Heute reden wir über das Thema Depression. Depression ist ein unglaublich weites Feld. Man redet schnell davon, wenn jemand traurig ist: „Du bist depressiv“. Wann spricht der Fachmann von einer Depression?

Dr. Peiler: Du hast ja schon ein wichtiges Stichwort gegeben: Wenn man traurig ist, wenn man eine gedrückte Stimmung hat, dann ist das im ersten Moment ja nicht unbedingt krank, sondern kann durchaus gesunde und normale Trauer sein – und das ist ja ein wichtiges Gefühl. Es kann aber passieren, dass dieses Gefühl unheimlich stark wird; so stark, dass es zu einem Gefühl der Gefühllosigkeit wird. Die normale Trauer muss man davon abgrenzen. Bei der Depression geht es zunehmend um eine richtige Leere; also einem Gefühl, dass man nicht mehr richtig da ist und den Kontakt zum Leben und sich selbst emotional verloren hat.

Moderatorin: Wenn Du von einer inneren Leere sprichst: Gibt es da auch noch andere Variationen, also nicht nur die Leere, sondern auch noch andere Symptome?

Dr. Peiler: Die Depression ist eine sehr umfangreiche Erkrankung. Wir sehen es in der Medizin und Psychiatrie als eine regelrecht systemische Erkrankung, die auch viele körperliche Funktionen betrifft. Das gilt nicht nur für die Gefühle und Emotionen, sondern auch die ganze Gedankenwelt.

Die Kernsymptome der Depression sind einerseits die depressive Stimmung, wie ich sie beschrieben habe: Dieses Gefühl von Gefühllosigkeit und Leere. Aber dazu kommt auch ein unheimlicher Verlust von Interesse. Es entsteht eine Freudlosigkeit; man kann sich nicht mehr wirklich freuen über Dinge, die man vorher schon lustvoll genossen hat. Damit einher

geht oft auch eine sehr starke Ermüdbarkeit zusammen mit einem Antriebsverlust. Im Extremfall meint man, sich morgens nicht mehr aus dem Bett bewegen zu können.

Zusätzliche Symptome gibt es im Denk- und kognitiven Bereich: Man hat keine Konzentration und keine Aufmerksamkeit mehr. Es kommt zu einer grossen Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, man hat kein Selbstvertrauen mehr und entwickelt Schuldgedanken und Gedanken an Wertlosigkeit. Im Extremfall kann das sogar zu einer realitätsfernen Überzeugung führen, dass man schuldig ist. Zum Beispiel: Wenn man in die Zukunft blickt, wird alles nur noch schwarz, negativ, pessimistisch.

Und dann kommen auch viele körperliche Symptome dazu, dass man etwa in der Nacht immer wieder aufwacht, nachdem man schon kaum einschlafen konnte. Auch, dass man früher aufwacht als normal und man nicht wieder einschlafen kann, also mit einem sogenannten Morgentief aufwacht und kaum in den Tag kommt. Weiterhin gibt es den Appetitverlust, den Verlust von sexueller Appetenz bis hin zu starken Gewichtsabnahmen (wegen des Appetitverlustes). Umgekehrt kann es auch auch zu mehr Appetit kommen, sodass man regelrechte Fressanfälle hat. Und was das Schlafen angeht, gibt es auch Depressionsformen, die mit zu viel Schlaf einhergehen. Der Schlaf ist dann allerdings auch nicht mehr erholsam. Und ein wichtiges Symptom – das gerade für uns in der Psychiatrie ein besonderes Risiko darstellt – ist der Aspekt von Suizidalität, also dem Gedanken daran, dass das Leben keinen Sinn mehr macht. Wenn das Denken sich dann immer mehr einengt auf das Negative, sieht man den Selbstmord als den letzten Ausweg.

Moderatorin: Kann man auch von einer Zielgruppe reden, also von bestimmten Leuten, die besonders anfällig sind für Depressionen? Oder kann das von heute auf morgen jeden treffen?

Dr. Peiler: Es gibt natürlich verschiedene Formen von Depressionen. Letztlich kann jeder Mensch eine Depression entwickeln. Wenn wir über die klassische melancholische Depression sprechen, gibt es eine genetische Belastung, also ein erhöhtes Risiko, daran zu erkranken, wenn Verwandte ersten Grades auch an einer Depression leiden.

Moderatorin: Sie ist also tatsächlich vererbbar ...

Dr. Peiler: Ja, aber es ist eine komplexe Vererbbarkeit: So ähnlich wie es auch bei körperlichen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck der Fall ist, hat man von der Genetik her eine erhöhte Neigung dazu, Depressionen zu entwickeln. Was hinzukommt, sind Umweltfaktoren, die zwar keinen direkten Einfluss auf das Genom, aber eben doch Einfluss darauf haben können, welche Rezeptoren und Transmitter vermehrt gebildet werden (das nennt man Epigenetik), die wiederum zu einer Depression führen können.

Moderatorin: Als Mutter, als Freund oder Bekannter aus dem sozialen Umfeld der betroffenen Person: Wann muss das Umfeld reagieren, wann sollten die Alarmglocken schrillen?

Dr. Peiler: Wenn man von aussen sieht, dass ein Mensch depressiv ist, dann sieht man, dass er sich sehr stark zurückzieht, dass er weniger im zwischenmenschlichen Kontakt ist, dass er weniger mitschwingt (wie wir sagen). Er wirkt immer sehr stark in sich gekehrt, wortkarg und

insgesamt auch trauriger. Auch die Mimik wird weniger. Und dass die Person den Alltag nicht mehr bewältigt, dass sie nicht mehr zur Arbeit oder zur Schule geht, morgens liegen bleibt und sich verkriecht. Dass er die Dinge nicht mehr tut, die ihm vorher Spass gemacht haben, also nicht mehr zum Sport, zum Verein oder zu Freunden geht.

Es ist dabei oft so, dass das von aussen deutlicher gesehen wird, als von den Betroffenen selbst.

Moderatorin: Wenn man als Betroffener merkt, etwas stimmt mit mir nicht: Kann man sich selbst therapieren, oder ist es besser, einen Arzt aufzusuchen?

Dr. Peiler: Sich selbst zu therapieren bedingt natürlich einerseits, dass man selbst ein Bewusstsein dafür hat, dass das gerade passiert. Wesentlich ist der Aspekt: Wie kann ich meine Belastbarkeit durch Stress verbessern? Das steuere ich über meine Lebensführung. Wichtig ist dabei, dass ich einen regelmässigen Tag-Nacht-Rhythmus, einen regelmässigen Lebensrhythmus, eine gesunde Ernährung und körperliche Aktivität hinbekomme. Wenn ich merke, dass ich mehr in der Depression bin, gilt es den Stress zu reduzieren. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, wie ein Achtsamkeits- und Stressreduktionstraining und verschiedene Entspannungstechniken, die man lernen kann.

Moderatorin: Es gibt ja auch viele Leute, die eine Depression schlicht nicht verstehen und dann sagen: Jetzt stell Dich nicht so an, das ist doch nicht so schwer und Dich versuchen zu motivieren. Aber für den Betroffenen mit einer Depression ist das dann doch unmöglich, oder?

Dr. Peiler: Ja, das stimmt. Wie ich eben beschrieben habe, ist die Depression etwas nahezu Unüberwindbares. Das Schwierige ist, dass dabei diese Schuldgefühle und das Gefühl der Wertlosigkeit entstehen. Der depressive Mensch macht sich selbst dafür verantwortlich, in dieser Situation zu sein.

Moderatorin: Bei der Behandlung geht es ja auch um Medikamente, also um Antidepressiva. Besteht da auch die Möglichkeit, dass man eine Abhängigkeit entwickelt? Wird das vom Arzt komplett kontrolliert oder findet da eine gewisse Selbstüberwachung statt?

Dr. Peiler: Wenn man unter Abhängigkeit versteht, dass wenn man Medikamente nimmt und selbst feststellt, dass die Wirkung nachlässt und man die Dosis stetig erhöhen muss, und einen körperlichen Entzug durchmacht, wenn man die Medikamente absetzt, muss man feststellen, dass das bei Antidepressiva nicht der Fall ist. Antidepressiva sind keine Medikamente, die eine körperliche oder psychische Abhängigkeit hervorrufen. Das heisst, man kann sie prinzipiell jederzeit absetzen, obwohl es dann häufig zu Absetzeffekten kommt. Das ist aber nicht zu verwechseln mit Entzugssymptomen.

Abhängigkeiten entstehen durch andere Medikamente, insbesondere durch Tranquilizer, also Beruhigungstabletten mit Benzodiazepinen. Diese kommen in der Akutbehandlung einer Depression durchaus zum Einsatz, auch um einem Suizid vorzubeugen. Langfristig werden sie aber nicht zur Behandlung einer Depression eingesetzt.

Da setzt man auf Antidepressiva, die auf bestimmte Neurotransmittersysteme einwirken, insbesondere auf das sogenannte Serotonin. Dabei spricht man aber nicht von Abhängigkeit.

Moderatorin: Kann man einer Depression vorbeugen und durch sein eigenes Verhalten einer Depression entgegenwirken? Oder kann ein dramatisches Ereignis bei erblicher Belastung das immer auslösen? Lässt sich da prophylaktisch etwas machen?

Dr. Peiler: Eine Depression kann man als Folge von chronischem Stress betrachten. Chronischer Stress führt zu Veränderungen des ganzen Apparates, auch zu einer Überaktivität des Stresshormonsystems. Die Frage ist dann: Wie kann man Stress möglichst früh abbauen und regulieren? Das bedeutet jetzt nicht, dass man keine Arbeit annehmen darf, die stressig ist, sondern wie geht damit und mit sich selbst möglichst gelassen, freundlich und wohlwollend um.

Dafür sind vorbeugend positive Aktivitäten wichtig, die positive Selbsterfahrungen geben, um in stressigen Situationen eine Haltung von Selbstakzeptanz und Wohlwollen zu entwickeln. Gerade um sich nicht immer wieder in die Ecke drängen zu lassen mit dem Gedanken „ich bin nicht so gut oder ich bin nicht so leistungsfähig wie andere.“

Moderatorin: Wenn Betroffene sich entscheiden, eine Therapie zu machen und zu Dir kommen: Wie genau verläuft dann so eine Therapie?

Dr. Peiler: Das hängt stark davon ab, wie akut die Depression ist und welche Form von Depression vorliegt. Die Frage ist: Was ist der entscheidende Mechanismus, warum ich in die Depression gekommen bin? Die Depression entsteht vor allem durch Lebensbelastungen.

Dann geht es in der Therapieplanung darum, nicht nur eine Medikation zu beginnen, sondern auch eine gute psychotherapeutische Behandlung in die Wege zu leiten.

Als erstes geht es natürlich darum, die akuten Gefahren abzuwenden und die akute Symptomatik mit Medikamenten zu lindern. Die Psychotherapie ist aber auch ein wichtiger Aspekt. Eigentlich ist unsere Empfehlung, beides parallel durchzuführen: die medikamentöse und die psychotherapeutische Behandlung. Bei leichteren Formen geht es erst einmal auch ohne Medikation – es ist also nicht so, dass man ständig Medikamente nehmen muss.

Bei der Psychotherapie gibt es verschiedene Therapieformen, die sich stark mit meinen Grundannahmen und -überzeugungen beschäftigen, die mich selbst entwerten und mich daran hindern, handlungsfähig zu bleiben und Entscheidungen zu treffen. Anschliessend geht es um das Aktivieren von positiven Erfahrungen, zu lernen, aus einer Abwärtsspirale wieder in eine Aufwärtsspirale zu kommen. Es geht in der Therapie auch um die Aspekte der Stressreduktion, auch Körpertherapie, Kunst- und Maltherapie und Ergotherapie. Spezielle Psychotherapieverfahren gibt es natürlich auch noch, die sich beispielsweise in der akuten Depression mit den entstandenen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten beschäftigen.

Ganz typische Kernprobleme von Menschen mit akuten Depressionen sind Trauer und ein Verlusterlebnis – das hattest Du eingangs ja schon erwähnt – oder das Problem sozialer Isolation. Das sind auch zwischenmenschliche Schwierigkeiten wie Partnerschaftsprobleme oder nur Rollenwechsel. Hört sich komisch an: Aber auch eine Beförderung im Beruf kann eine Depression auslösen, wenn man durch den Rollenwechsel in eine Überforderung gerät.

Moderatorin: Wenn man jetzt von einer erfolgreichen Therapie redet, also erfolgreich therapiert wurde: Wie hoch ist die Rückfallquote? Ist es möglich, dass die Person wieder einen Rückfall erleidet? Oder ist die Chance gross, dass sie wieder in die Aufwärtsspirale kommt?

Dr. Peiler: Das Ziel ist natürlich – wenn die Depression erfolgreich überstanden hat –, dass man sie nicht wieder bekommt. Das macht die Prophylaxe um so wichtiger. Wenn wir von einer klassischen Depression sprechen, ist das Risiko eines Rückfalls schon bei 50 bis 75 Prozent, also gar nicht so gering. 15 bis 20 Prozent der Depressionen entwickeln sich sogar zu einer chronischen Depression, sodass sie nie wirklich weggeht. Wenn man also eine erste Depression hat, ist es umso wichtiger, dass man langfristig sein Leben darauf einrichtet, darauf zu achten, die eigene Belastbarkeit aufrecht zu erhalten. So ist man widerstandsfähiger. Es geht darum, längerfristig zu lernen, mit dem Stress, den ich in unserem Leben nicht vermeiden kann, so umzugehen, dass ich mich schütze.

Moderatorin: Vielen herzlichen Dank Peter für die interessanten Informationen und dass Du beim Power Boost Podcast dabei warst. Einen schönen Tag wünsche ich Dir.