Podcast: Schizophrenie

In der zwölften und letzten Folge der Power-Boost-Podcasts spricht Moderatorin Andrea Haefeli mit Dr. Peter Peiler über das Thema Schizophrenie.

Hier finden Sie das komplette Interview zum nachlesen und den kompletten Podcast als MP3-Datei zum Download.

Moderatorin: Heute reden wir über das Thema Schizophrenie. Das Thema ist ja sehr breit gegliedert. Es gibt viele Phasen von Schizophrenie ...

Dr. Peiler: Das ist richtig. Schizophrenie für sich ist eine klassische psychiatrische Erkrankung, auch eine Erkrankung im engeren Sinne. Das heisst, eine Erkrankung, die das ganze Organ –das Gehirn, wo die Psyche ist – betrifft und oft früh im Leben beginnt. Der Anfang dieser Erkrankung liegt häufig zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr. Es ist eine Erkrankung, die alle möglichen psychischen Funktionen umfasst. Das Denken, die Denkstruktur, inhaltliches Denken, aber auch Affekte, also meine Emotionalität, meinen Antrieb, meine ganze Motorik. Alle möglichen Hirnfunktionen können betroffen sein.

Du hast ja gerade verschiedenen Phasen angesprochen: Es gibt verschiedene Formen, wie die Krankheit verläuft. Es kann sein, dass man ganz plötzlich einen psychotischen Schub bekommt, der sich später auch wieder vollständig zurückbilden kann. Es gibt aber auch Verläufe, bei denen man nach einem psychotischen, schizophrenen Schub einen Rest an Krankheitssymptomatik behält. Wir nennen das Residuum. Das hat dann unter Umständen einen chronischen Verlauf. Mit jedem Rückfall werden die Beeinträchtigungen dann grösser.

Es gibt auch einen Verlauf, der von Anfang an chronisch ist. Oft ist es auch so, dass bevor überhaupt die Schizophrenie beginnt, man ein sogenanntes Prodromalsyndrom hat. Das ist ein unspezifisches Syndrom, was schon ein oder zwei Jahre vorher beginnen kann: mit sozialem Rückzug, mit Lustlosigkeit, mit geringerer Kontaktaufnahme, weniger Interessen und Gefühlen, geringere Sorge um sich selbst. Das ist oft eine Phase, in der viele Menschen, die an Schizophrenie leiden, zum Beispiel Drogen konsumieren. Häufig ist das THC (also Cannabis), was in dem Moment nicht ursächlich für die Schizophrenie ist. Allerdings kann Cannabis zu psychotischen Symptomen führen. Eine Psychose kann auch die Folge von Cannabis sein. Es gibt Schizophrenie mit psychotischen Zuständen, aber eben auch psychotische Zustände, die andere Ursachen wie Drogenkonsum haben.

Moderatorin: „Schizo“ ist ja fast schon ein Schimpfwort. Häufig sagt man ja auch, Schizophronie, das sind zwei Persönlichkeiten. Aber ist das zwingend so?

Dr. Peiler: Nein, das stimmt auch nicht. Die Vorstellung, bei der Schizophrenie handelt es sich um eine gespaltene Persönlichkeit, stimmt in dem Sinne nicht. Dieses „Schizo“ steht für ein Abgetrenntsein im Sinne von „ich habe eine veränderte Wahrnehmung der Welt“ oder einer veränderten Wahrnehmung von sich selbst. Das ist eigentlich damit gemeint. Diese gespaltene Persönlichkeit ist ein anderer Mechanismus, der in den Bereich der Dissoziation und Multipler Persönlichkeit geht. Das sind allerdings andere Vorgänge als bei der Psychose.

Moderatorin: Du hast vorhin gesagt, dass sich Schizophrenie sehr früh äussert. Ist das genetisch bedingt oder kann das jeder bekommen?

Dr. Peiler: Grundsätzlich kann es jeder bekommen, wobei das Erkrankungsrisiko in der Gesellschaft insgesamt recht gering ist. Es liegt bei knapp einem Prozent. Es hat aber eine sehr starke genetische Komponente. Das sieht man daran, dass zum Beispiel das Risiko bei eineiigen Zwillingen (von denen einer eine Schizophrenie hat) oder bei Eltern, bei denen beide eine Schizophrenie haben, bei 50 Prozent liegt. Der genetische Aspekt spielt also eine sehr grosse Rolle.

Man muss die Schizophrenie als eine Art Hirnreifungsstörung verstehen, wobei aber noch andere Aspekte hinzukommen. Das eine ist die genetische Voraussetzung. Es gibt ganz viele Gene, die damit und auch mit anderen Erkrankungen (körperlichen, wie Diabetes) im Zusammenhang stehen. Der Beginn der Schizophrenie, der psychotische Schub, hat dann letztlich mit Lebensereignissen zu tun, die das auslösen. Das können auch Drogen sein. 

Moderatorin: Was sind Symptome von einer typischen Schizophrenie? Ich habe mal gehört, dass Leute, die allein in einem Raum sitzen, sich beobachtet fühlen, Leute reden hören – auch über sich. Dabei stimmt das überhaupt nicht und ist eine reine Wahnvorstellung ... 

Dr. Peiler: Ja, die Symptomatik kann sehr bunt sein. Was Du ansprichst, ist der Bereich der sogenannten Ich-Störungen, einer Störung der Meinhaftigkeit – wie wir das nennen. Man hat das Gefühl, dass einem Gedanken eingegeben werden und dass man irgendwie beeinflusst wird. Das gilt auch für Dinge, die etwa im Fernsehen passieren: Also wenn der Nachrichtensprecher redet, meint man, er würde direkt zu einem selbst sprechen.

Dann gibt es so Phänomene wie Halluzinationen. Dazu gehört das Stimmenhören, oft in Form einer inneren Stimme, die immerzu kommentiert, was du gerade machst. Oder die einen Dialog führt oder Handlungsanweisungen gibt (sogenannte imperative Stimmen). Das alles sind typische schizophrene Symptome.

Es geht dann weiter mit Wahnsymptomen, dass man Verfolgungswahn hat oder befürchtet, vergiftet zu werden. Es gibt auch ganz bizarre Wahnvorstellungen, etwa das Gefühl, man könne das Wetter kontrollieren; Grössen- und Abstammungswahn, dass man also glaubt, man wäre der Nachfahre eines berühmten Menschen.

Es geht aber noch weiter. Es gibt auch Symptome in der ganzen Denkstruktur. Das kann bis zu einer „Zerfahrenheit“ gehen. Diese Menschen sind dann nicht mehr in der Lage, einen sinnvollen Satz zu sprechen. Sie erschaffen neue Wörter oder setzen neue Wörter zusammen, die keinen Sinn ergeben. Ein Beispiel dafür wäre etwas wie „Eisbärenengel“. Das nennt sich Zerfahrenheit.

Ein weiteres Symptom ist, dass man ganze Sätze ständig wiederholt. Oder dass man das, was andere sagen, wiederholen muss. Das sind spezielle Phänomene, die typisch für formale Denkstörungen sind.

Moderatorin: Ist Schizophrenie eine Krankheit, die einen total unselbstständig macht? Braucht man sein Leben lang die Hilfe von anderen?

Dr. Peiler: Nicht grundsätzlich. Immerhin gibt es Heilung für knapp 30 Prozent, die zum Beispiel einen psychotischen Schub haben und danach nicht mehr erkranken. Sehr viele sind aber vom Gesundheitssystem langfristig abhängig, weil sie nicht auf den ersten Arbeitsmarkt kommen. Das ist schon so.

Moderatorin: Wie kann man Schizophrenie am besten therapieren?

Dr. Peiler: Auch da geht es am Anfang – wie bei vielen anderen psychischen Störungen – darum, mit der Patientin daran zu arbeiten, dass sie versteht, dass sie ein Problem hat. Schizophrenie ist meistens damit verknüpft, dass es keine Krankheitseinsicht gibt. Denn alle Phänomene, die ich anfangs beschrieben habe, zeichnen sich dadurch aus, dass man sie als wahr erlebt. Man kann einem schizophrenen Menschen nicht ausreden, einen Wahn zu haben, denn der Wahn ist für ihn Realität. 

Dennoch ist es wichtig, über die Problematik aufzuklären, die Familie mit einzubeziehen und frühzeitig eine medikamentöse Behandlung zu beginnen. Deswegen ist das Prodromalsyndrom nicht unwichtig. Es gibt mittlerweile spezialisierte Abteilungen und Ambulanzen, die über entsprechende Diagnostik verfügen. Denn je früher man mit der Medikation beginnt, umso besser ist der Verlauf. 

Die wiederkehrenden Krankheitsverläufe haben häufig damit zu tun, dass die Patienten ihre Medikamente aus verschiedenen Gründen absetzen. Man muss die Medikamente eigentlich als Erhaltungsmedikation dauerhaft nehmen, um sich vor einer erneuten Psychose zu schützen.

Moderatorin: Wenn die Patienten jetzt selbst die Medikamente absetzen, merken die dann selbst, dass sie eine Veränderung durchmachen? Verändern die Medikamente sie denn derart als Menschen, dass sie das ganz anders sehen?

Dr. Peiler: Das ist eine sehr komplexe Geschichte. Zum einen gibt es natürlich die Nebenwirkungen, die irgendwann nicht mehr toleriert werden. Deshalb muss man schauen, dass die Nebenwirkungen nicht zu sehr überwiegen. Aber es gibt natürlich Nebenwirkungen, die jemanden dazu bringen, die Medikamente abzusetzen. Weil man keinerlei sexuelles Verlangen mehr hat oder man immer mehr an Gewicht zunimmt – für viele ein schwieriges Thema. Viele beschreiben auch, dass sie sich emotional wie in Watte gepackt und nicht mehr richtig lebendig fühlen. Den Aspekt finde ich nicht unwichtig. Schizophrene erleben ihre Welt für sich ja als authentisch. Sie vermissen dann diesen Zustand, so zu sein, wie sie wirklich sind. Das kann auch einen Einfluss darauf haben, die Medikamente absetzen zu wollen.

Moderatorin: Du hast erwähnt, dass es wichtig ist, auch die Familie mit einzubeziehen, damit sie Bescheid weiss.

Dr. Peiler: Das ist extrem wichtig, dass das Umfeld informiert ist. In unserer Gesellschaft ist das gar nicht so leicht. Wenn man mal in die Gesellschaft von Entwicklungsländern schaut, gibt es dort häufig weniger dramatische, sondern ruhigere Verläufe der Schizophrenie, weil es in der Gesellschaft dort leichter akzeptiert wird. Es wird nicht als ein so grosser Makel angesehen. In unserer Leistungsgesellschaft ist das ein Problem, ist oft auch mit grossen Emotionen und weniger Toleranz verknüpft. Insofern ist es wichtig, dass man die Familie damit einbezieht und die Balance findet, zwischen dem Verständnis und dem strukturierenden Teil, der Sicherheit gibt.

Moderatorin: Vielen herzlichen Dank, Dr. Peter Peiler. Das war unser letzter Power Boost. Es war mir eine grosse Ehre, es hat mir extrem viel Spass gemacht und es waren so gute Themen dabei. Es war mir eine grosse Freude. Vielen herzlichen Dank!

Dr. Peiler: Vielen Dank Andrea, ich gebe Dir den Blumenstrauss gerne zurück.