Peer-Arbeit in der Psychiatrie

«Wir Peers sind Hoffnungsträger*innen»

Seit April 2024 ist Eliane Zwyer als Genesungsbegleiterin/Peer EX-IN in der Klinik Meissenberg tätig. Peers haben selbst eine psychische Erkrankung und einen Genesungsprozess (Recovery-Weg) erlebt. Mit ihrem Erfahrungsschatz können sie Patientinnen und Patienten während des Behandlungsprozesses unterstützen sowie Mut und Hoffnung vermitteln. Im Beitrag gibt Eliane Zwyer Einblicke in ihre wertvolle Arbeit.

Eliane Zwyer, Peer-Arbeiterin der Klinik Meissenberg, vor einem Baum im Garten der Klinik.

«Ich habe selbst erlebt, was es bedeutet, den Boden unter den Füssen zu verlieren.» Eliane Zwyer strahlt Ruhe aus, wenn sie spricht. Sie wirkt geerdet, ruhig und konzentriert. Sie versteckt sich nicht hinter Worten, aber drückt auch aus, wenn ihr ein Thema zu nahe kommt. 

Seit April dieses Jahres arbeitet Eliane Zwyer als Peer in der Klinik Meissenberg. Peers oder auch Genesungsbegleiter*innen, das sind Menschen, die irgendwann in ihrem Leben psychisch erkrankt sind, einen Klinikaufenthalt absolviert und ihre Erfahrungen in einer Weiterbildung reflektiert haben. Sie haben einen Genesungsprozess durchlaufen und können mit ihrem Wissen Patientinnen und Patienten während des Behandlungsprozess unterstützen. Peers haben alle Stufen einer psychischen Erkrankung durchlebt: von den ersten Symptomen über die Diagnosestellung und Therapie bis hin zum Weg zurück ins Leben. Eliane Zwyer bestätigt: «Ich kann vieles von dem nachempfinden, was Patientinnen mir in Gesprächen erzählen, da ich es selbst in einer ähnlichen Form erlebt habe.»

«Es geht nicht darum, ungefragt Ratschläge zu erteilen, sondern um die Begegnung und Begleitung auf Augenhöhe.» 

Eliane Zwyer

Der Begriff «Peer» kommt aus dem Englischen und heisst so viel wie «Gleichwertig» oder «Ebenbürtig». Mit ihrem Erfahrungsschatz können Peers Patientinnen hilfreiche Strategien weitergeben, die ihnen helfen, mit ihrer Erkrankung besser umzugehen. Eliane Zwyer führt aus: «Wenn mir eine Patientin von ihrer Situation erzählt, entwickle ich ein Verständnis dafür.» Gutes Zuhören sei daher essenziell für ihre Arbeit. So seien oft sehr offene Gespräche möglich, bei denen sie auch ihre Erfahrungswerte einbringen könne. «Das bedeutet aber nicht, dass ich Ratschläge erteile, sondern es geht um die Begegnung und Begleitung auf Augenhöhe.» Und nicht zuletzt sind Peers für akut erkrankte Menschen auch Hoffnungsträger*innen, da sie den Weg aus der Krise sichtbar vorleben.

Ein Ersatz für eine Therapie ist die Peer-Arbeit nie, sondern eine wertvolle Ergänzung. Peers sind stets eingegliedert in das Behandlungsteam – so auch in der Klinik Meissenberg. Bei Bedarf bieten sie Patientinnen Beratung und Begleitung in Einzelgesprächen an. Oder sie agieren als verbindendes Element, wenn andere Fachpersonen keinen Zugang zur Patientin finden können. Darüber hinaus können Peers im Behandlungsteam die Sichtweise der Patientin durch den eigenen Erfahrungswert besser einbringen. Daraus entsteht ein wertvoller Nutzen für Patientinnen, wie Monika Binder, Pflegedienstleiterin der Klinik Meissenberg, festhält: «Peers bieten den Patientinnen im Behandlungsprozess eine zusätzliche Perspektive, die wir ihnen als Fachpersonen nicht geben können.» 

Der Weg zum professionellen Peer

Während ihrer eigenen stationären Behandlung kam Eliane Zwyer erstmals in Kontakt mit dem Thema Peer-Arbeit. «Damals hatte ich nicht das Glück, einen Peer an meiner Seite zu haben – aber meine Bezugsperson von der Pflege machte mich auf das Thema aufmerksam.» Als Patientin fehlte ihr die Kraft, sich näher damit zu beschäftigen. Ganz los liess das Thema die gelernte Pädagogin und Heilpädagogin aber nie, sodass sie schliesslich ein Seminar zum Thema «Recovery Wege entdecken» absolvierte. «Je mehr ich mich auch mit anderen Betroffenen austauschen konnte, desto mehr begeisterte ich mich für die Peer-Arbeit.» erzählt sie. Anschliessend entscheidet sie sich für die Ausbildung zur Genesungsbegleiterin/Peer EX-IN.

«Wir Peers sind per Du mit den Patientinnen – das schafft zusätzliche Nähe.» 

Eliane Zwyer

Während ihrer Ausbildung ist Eliane Zwyer als erste Peer-Praktikantin in der Klinik Meissenberg tätig. Sie leistete damit Pionierarbeit in der Klinik und stellte das Peer-Modell den Fachpersonen und Patientinnen vor. «Was ich schon damals bemerkt habe: Viele Patientinnen interessierten sich für meine Arbeit und suchten mich nach einem Gespräch erneut auf.» Das habe ihr gezeigt, dass ihre Arbeit wichtig ist. «Wir Peers sind per Du mit den Patientinnen – das schafft zusätzlich eine Nähe.» 

Auch die Behandlungsteams zeigten sich offen gegenüber Eliane Zwyer, das Vertrauen in die Peermitarbeiterin wuchs. Pflegedienstleiterin Monika Binder bestätigt: «Durch die Peer-Arbeit kam es bei den Patientinnen auch untereinander zu einem offeneren Austausch.» In der Einzelbegleitung der Patientinnen hätten Fachpersonen nach Peer-Gesprächen zudem eine positive Veränderung in Bezug auf die Zukunftsperspektive und der Aktivität der Patientin wahrgenommen. Eliane Zwyer bekräftigt: «Zum Ende meines Praktikums konnten viele Fachkräfte und Patientinnen nicht verstehen, wieso ich nun gehe. «Es braucht doch Peers», hörte ich oft.»

Peer-Arbeit: Eine Herzensangelegenheit

Deshalb hielt die Klinik Meissenberg an der Peer-Arbeit fest – und hat Eliane Zwyer seit April 2024 in einem Teilpensum fest angestellt. In ihrer Funktion führt sie Einzelgespräche mit Patientinnen – sowohl auf ihrer Basis-Abteilung «Depression und Burnout» als auch auf Anfrage in allen Abteilungen. In Zukunft wird sie zudem eine Recovery-Gruppe leiten, mit Themen, die den eigenen Genesungsprozess reflektieren und unterstützen helfen. Auch über ihre Tätigkeit in der Klinik hinaus engagiert sich Eliane Zwyer für die Peer-Idee und deren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten: Sie war bereits als Recovery-Botschafterin bei der Stiftung Pro Mente Sana tätig – und wird in naher Zukunft auch als Trainerin bei Recovery-Seminaren mitwirken.

Eliane Zwyer hat noch viele Ideen, die sie umsetzen möchte – man spürt ihren Tatendrang. Gleichzeitig betont sie auch die Bedeutung der Selbstfürsorge: «Grenzen zu setzen, ist ein zentrales Thema für mich und meine Arbeit.» In ihrer Tätigkeit mit Menschen sei es wichtig, sich abgrenzen zu können. Einen Ausgleich zur Arbeit findet Eliane Zwyer in langen Spaziergängen mit ihrer Hündin oder auf Wanderungen in der Natur. «Die Natur gibt mir Kraft und Ruhe». Und natürlich würde sie auch jederzeit wieder den Austausch mit Fachpersonen suchen, wenn sie etwas belastet. Ein stabiles Netzwerk sei die Voraussetzung für ihre Arbeit. «Auch der Austausch mit anderen Peers ist für mich wichtig.»

«Die Entscheidung, mich zum Peer ausbilden zu lassen, hat mir eine neue Perspektive aufs Leben geschenkt.»

Eliane Zwyer

Die Krise als Chance

Ihr eigener Recovery-Weg hat sich zur Ressource für ihre wertvolle Arbeit entwickelt. «Die Entscheidung, mich zum Peer ausbilden zu lassen, hat mir neue Energie und eine neue Perspektive aufs Leben geschenkt.» Gleichzeitig möchte sie anderen Patientinnen ermöglichen, ihren eigenen Recovery-Weg zu finden. «Im Chinesischen gibt es ein Schriftzeichen für das Wort «Krise», dass gleichzeitig auch «Chance» bedeutet.», erklärt Eliane Zwyer. Dies spiegle ihre eigene Geschichte wider: «Die Krise, die ich erlebt habe, ist für mich zu einer Chance geworden. Und ich glaube auch, dass Peers eine grosse Chance für die Psychiatrie sind.»

Text Delia Freitag

Foto Daniel Brühlmann