ADHS bei Frauen
Unauffällig auffällig
Obwohl ADHS auch bei erwachsenen Frauen weit verbreitet ist, wird bei ihnen die Störung oft erst spät oder gar nicht diagnostiziert. Die Symptome sind oft anders als bei Männern – mit Fehlbefunden und unnötigem Leidensdruck als Folge.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gilt als eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Heute weiss man, dass die Störung oft bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt. Bei Frauen wird ADHS jedoch deutlich seltener und meist erst spät erkannt – häufig erst nach vielen Jahren mit psychischen oder körperlichen Beschwerden.
Denn anders als bei Jungen und Männern sind die Symptome von ADHS bei Mädchen und Frauen oft weniger auffällig. Während in der Kindheit bei Jungen eher hyperaktives oder impulsives Verhalten im Vordergrund steht, zeigen betroffene Mädchen häufig eine ausgeprägte Unaufmerksamkeit, Tagträumerei, starke innere Unruhe oder ein hohes Mass an Perfektionismus. Da diese Erscheinungsformen seltener mit ADHS in Verbindung gebracht werden, bleiben die Krankheit oft unerkannt.
Die Folge: Viele Frauen erhalten die Diagnose erst im Erwachsenenalter – was sich negativ auf den schulischen und beruflichen Werdegang auswirken kann. Zusätzlich steigt das Risiko für psychische und körperliche Begleiterkrankungen.
ADHS wird vererbt
ADHS ist eine neurobiologisch bedingte Störung mit starker genetischer Veranlagung. Die Forschung zeigt heute deutlich, dass die Vererbbarkeit bei ADHS besonders hoch ist. Eine sorgfältige Diagnostik durch erfahrene Fachpersonen ist aber wichtig, um organische, behandelbare Ursachen auszuschliessen. Dafür werden eine somatische Diagnostik inkl. Labor durchgeführt, vor einer Medikation muss auch immer ein EKG gemacht werden. ADHS ist eine klinische Diagnose, ergänzend können bei speziellen Fragestellungen psychologische Testverfahren eingesetzt werden.
Nach den geltenden Diagnosekriterien müssen erste Symptome bereits vor dem zwölften Lebensjahr aufgetreten sein. Die Beschwerden müssen über mindestens sechs Monate bestehen und verschiedene Lebensbereiche beeinträchtigen – etwa Arbeit, Beziehungen oder das Familienleben.
Viele Frauen erhalten die ADHS-Diagnose erst im Erwachsenenalter – was sich negativ auf den schulischen und beruflichen Werdegang auswirken kann. Zusätzlich steigt das Risiko für psychische und körperliche Begleiterkrankungen.
Zyklusbedingte Schwankungen und emotionale Belastung
ADHS verläuft nicht bei allen Menschen gleich. Rund 60 Prozent der Betroffenen zeigen einen wechselhaften Verlauf über die Lebensspanne. Daher ist es wichtig, die Behandlung regelmässig anzupassen – insbesondere bei sich verändernden Lebensumständen oder neuen körperlichen oder psychischen Begleiterkrankungen.
Frauen mit ADHS berichten häufig über starke Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und emotionale Überforderung. Diese Symptome treten oft in einem engen Zusammenhang mit dem weiblichen Zyklus auf, insbesondere in der zweiten Zyklushälfte. Auch nach einer Geburt oder während der Wechseljahre kann sich die ADHS-Symptomatik verstärken.
Solche hormonellen Schwankungen beeinflussen die Wirkung von Dopamin – und können dazu führen, dass medikamentöse Behandlungen in bestimmten Zyklusphasen weniger wirksam sind. In solchen Fällen kann eine Anpassung der Medikation sinnvoll sein.
Zusätzlich zur inneren Unruhe und Impulsivität kämpfen viele betroffene Frauen mit chronischer Erschöpfung. Ein häufiger Grund dafür ist ein stark ausgeprägter Perfektionismus, der oft unbewusst als Strategie zur Kompensation der ADHS-Symptome eingesetzt wird. Gleichzeitig leidet das Selbstwertgefühl – viele Frauen erleben sich selbst als nicht leistungsfähig genug oder dauerhaft überfordert.
Begleiterkrankungen sind häufig
ADHS bei Frauen geht häufig mit weiteren psychischen Erkrankungen einher. Dazu gehören Depressionen, Essstörungen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen, insbesondere vom Borderline-Typ.
Darüber hinaus sind Frauen mit ADHS häufiger von traumatischen Erfahrungen betroffen. In Verbindung mit weiteren psychischen Erkrankungen kann dies die Wahrscheinlichkeit für selbstverletzendes oder suizidales Verhalten deutlich steigern. Eine sorgfältige Einschätzung und eine auf die individuelle Situation abgestimmte Behandlung sind deshalb besonders wichtig.
Zusätzlich zur inneren Unruhe und Impulsivität kämpfen viele betroffene Frauen mit chronischer Erschöpfung. Oft geht ADHS bei ihnen auch mit weiteren psychischen Erkrankungen einher. Dazu gehören Depressionen, Essstörungen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen, insbesondere vom Borderline-Typ.
Individuelle Therapieansätze
Eine wirksame Behandlung von ADHS berücksichtigt somit stets die persönliche Lebenssituation und die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen. Psychotherapeutische Ansätze wie kognitive Verhaltenstherapie oder spezifische Coaching-Programme helfen dabei, Strategien für den Alltag zu entwickeln. Wichtig ist dabei auch die Psychoedukation, die Aufklärung über das Störungsbild – dies kann helfen, belastende Schuldgefühle oder Selbstzweifel abzubauen.
Ebenso sind strukturgebende Massnahmen wie Tagespläne oder Prioritätenlisten im Alltag sehr hilfreich. Auch regelmässige körperliche Aktivität wirkt sich positiv auf die Symptome aus. In vielen Fällen ist es sinnvoll, das familiäre Umfeld in die Behandlung einzubeziehen – nicht nur, weil es für den Alltag unterstützend wirken kann, sondern auch, weil mehrere Familienangehörige von ADHS betroffen sind.
Ein weiterer wichtiger Baustein in der Behandlung ist die medikamentöse Therapie. Stimulanzien gelten als Mittel erster Wahl, daneben können auch andere Medikamente eingesetzt werden. Frauen benötigen dabei oft eine geringere Dosierung als Männer, berichten jedoch häufiger über Nebenwirkungen. Eine individuelle Anpassung der Medikation ist deshalb besonders wichtig.
Eine wirksame Behandlung von ADHS berücksichtigt stets die persönliche Lebenssituation und die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen.
ADHS in Schwangerschaft und Stillzeit
Gerade während der Schwangerschaft ist besondere Vorsicht bei der medikamentösen Behandlung geboten: ADHS erhöht das Risiko für Frühgeburten und kann mit einer erhöhten Anfälligkeit für eine postnatale Depression einhergehen. Auch die Mutter-Kind-Interaktion kann in dieser Phase beeinträchtigt sein.
In dieser sensiblen Lebensphase ist eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken jeder Behandlung erforderlich. Eine individuell abgestimmte medizinische Betreuung trägt wesentlich zur Sicherheit von Mutter und Kind bei.
Fazit: Frühzeitige Erkennung verbessert die Lebensqualität
ADHS bei Frauen wird häufig übersehen oder erst spät erkannt. Die Symptomatik ist oft weniger auffällig, dafür aber mit grossem innerem Leidensdruck verbunden. Eine rechtzeitige Diagnose und eine individuell angepasste, frauenspezifische Behandlung können die Lebensqualität und Zukunftsperspektiven der Betroffenen deutlich verbessern – sowohl im privaten wie auch im beruflichen Leben.
Text Dr. phil. Denise Baumeler, Dr. med. Kamila Dudová-Nakazi
Illustration Elena Cogliatti