Klinikaufenthalt

Erstarkt zurück ins Leben

Der Eintritt in eine psychiatrische Klinik ist ein schwieriger Moment im Leben. Warum er aber in gewissen Situationen unumgänglich ist und was eine Patientin konkret erwartet, erklären Cornelia Künzler, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, und Dr. med. Peter Peiler, medizinscher Leiter der Klinik Meissenberg.

Der Eintritt in eine psychiatrische Klinik ist für die meisten Patientinnen ein tiefer Lebenseinschnitt. «Nicht selten kämpften Frauen, die zu uns kommen, bereits seit Jahren oder Jahrzehnten mit ihren Problemen, das ist ein «Rucksack», der immer schwerer wird und sie zunehmend überfordert», erklärt Cornelia Künzler, Bereichsleiterin Psychologie der Klinik Meissenberg. «Anlass für eine stationäre Behandlung ist oft ein konkretes Ereignis wie z. B. der Auszug der Kinder oder das Zerbrechen der Partnerschaft, meist in Kombination mit bereits bestehenden Stressfaktoren. Dieses Erlebnis lässt das eigene Konstrukt zusammenbrechen und Hilfe wird unumgänglich», umschreibt Cornelia Künzler den Mechanismus.

Die falsche Scham

Begleitet wird die Krise von Scham darüber, den Anforderungen des Umfelds nicht mehr genügen zu können. In den Medien ist von mehrfachen Müttern zu lesen, die beruflich oder politisch glanzvoll Karrieren hinlegen. Warum, so die Frage vieler Frauen, schaffe ich das nicht? Diese Gedanken sind verständlich, aber nicht zielführend: Jeder Mensch hat eine prägende persönliche Geschichte, ist mehr oder weniger anfällig. Das Fachwort dazu ist Resilienz, also Widerstandskraft. Diese steht, betont Dr. med. Peter Peiler, oft in engem Zusammenhang mit dem, was die Patientin in ihrer Kindheit und Jugend erlebte und lernte: «Menschen versuchen ein Leben lang, einen Mangel an innerer Sicherheit zu kompensieren, der zurück in die Kindheit reicht.» Um eine gewisse Stabilität zu bewahren, entwickeln sie automatisierte Bewältigungsmuster auf emotionaler, gedanklicher und Handlungsebene. Diese führen kurzfristig zu scheinbaren Lösungen der inneren Konflikte, wirken sich jedoch auf der zwischenmenschlichen Ebene oft nachteilig aus. Insbesondere werden diese Muster nicht den inneren Bedürfnissen der betroffenen Person gerecht. «Irgendwann führen die erlernten Bewältigungsstrategien nicht mehr zu Entlastungen. Dies geschieht insbesondere in Lebenskrisen und an Knotenpunkten im Leben, die sich nicht mehr ohne Hilfe bewältigen lassen», so Dr. med. Peter Peiler weiter. Der Eintritt in eine Klink ist an diesem Punkt oft die beste Handlungsoption.

«Menschen versuchen ein Leben lang, einen Mangel an innerer Sicherheit zu kompensieren, der zurück in die Kindheit reicht.»

Dr. med. Peter Peiler

Viele Frauen müssen aber erst den Mut aufbringen, um sich für eine stationäre Behandlung zu entscheiden. «Das braucht viel Überwindung», weiss Cornelia Künzler. «Diese Frauen haben ihre eigenen Bedürfnisse oft jahrelang zurückgestellt, da ist ein solcher Schritt nicht einfach.» Im Nachhinein ein Verhalten, das von den Frauen selbst nicht mehr richtig verstanden wird. «Wäre ich nur früher gekommen», ist ein häufig geäusserter Satz beim Austrittsgespräch.

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Der Eintritt in eine psychiatrische Klinik braucht viel Überwindung, ist aber gerade in Lebenskrisen oder Knotenpunkten im Leben oftmals ratsam. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf  wir helfen Ihnen gerne weiter.

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Die Krankheit akzeptieren

Die Erkenntnis, an einer psychischen Erkrankung zu leiden, kann durchaus erleichternd sein. Gemeinsam mit dem behandelnden Team herauszufinden, dass man nicht einfach schwach und ungenügend ist, sondern an einem gesundheitlichen Problem leidet, das von den Ärzt*innen und Psycholog*innen benannt sowie behandelt werden kann. Dr. med. Peter Peiler betont denn auch die Wichtigkeit des professionellen psychopathologischen Befundes: «Wir beurteilen die psychiatrisch-psychotherapeutische Verfassung der Patientin: Welches Syndrom liegt vor und welche Störung liegt diesem zugrunde. Auf dieser Basis wird gemeinsam eine adäquate Behandlung erarbeitet.»

Vertrauen ist zentral

Die Bandbreite der Symptome und Ursachen ist so gross wie das Leben und so individuell wie die Menschen selbst. Herauszufinden, wo der Grund für die Krise liegt und wie eine mögliche Behandlung aussehen könnte, gehört zu den ersten Schritten nach dem Eintritt in die Klinik Meissenberg. Das ist ein schwieriger Prozess für die Patientinnen: Sie stecken in einer tiefen Krise, sind stark verunsichert und kommen in eine komplett fremde Umgebung. Sie kennen niemanden und sollen plötzlich mit wildfremden Menschen über sich selbst sprechen, über Themen, die möglicherweise jahrzehntelang verdrängt wurden. «Sehr wichtig ist deshalb, gleich zu Beginn der Behandlung Vertrauen aufzubauen», betont Cornelia Künzler. Vertrauen in das interprofessionelle Behandlungsteam und nicht zuletzt in die Mitpatientinnen. Auch das Vertrauen darauf, dass die Patientin zu nichts gezwungen wird, sondern die passende Therapie gemeinsam entwickelt und umgesetzt wird.

Die Therapie

Die Therapie kann mühsam und anstrengend sein, da gibt es nichts zu beschönigen. «Wir bemühen uns um eine Balance einerseits zwischen Akzeptanz und aktiver Unterstützung durch das Behandlungsteam und andererseits um empathische Konfrontation mit dem Drängen auf aktive Veränderung durch die Patientin selbst», erklärt Dr. med. Peter Peiler. Damit, so betont er, werde der Patientin aber auch signalisiert, dass das behandelnde Team sie in all ihren Facetten ernst nimmt. Ihre Krise wird nicht einfach als Schwäche oder mangelnden Leistungswillen abgetan, sondern als eine nachvollziehbare psychische Überforderung und Störung erkannt. Diese kann die Patientin mit der Unterstützung in der Klinik selbstständig überwinden, indem sie für sich einen neuen Weg findet. «Das gibt vielen Patientinnen eine neue Orientierung, die sie bisher nicht hatten», betont Cornelia Künzler. Diese Balance zwischen Schützen und Fordern ist ein wichtiger Bestandteil des professionellen Ansatzes, den das Team der Klinik Meissenberg verfolgt.

«Die Patientin lernt während der stationären Therapie, die eigene Situation und die eigenen Verhaltensmuster mit etwas Abstand zu betrachten. Daraus entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, in welcher Spirale sie sich befindet», erklärt Cornelia Künzler. Moderne Therapieverfahren integrieren insbesondere Aspekte der Achtsamkeit und der Akzeptanz. Das Ziel ist nicht, die Symptome einfach loszuwerden, sondern der Patientin zu ermöglichen, sich in bestimmten belastenden Situationen anders zu verhalten, indem sie einen neuen und wohlwollenden Umgang mit sich selbst erlernt. «Achtsamkeit lässt mich rechtzeitig erkennen, wenn ich Gefahr laufe, nach dem üblichen – fatalen – Muster zu reagieren. Ich habe plötzlich neue Handlungsoptionen, was sehr entspannend ist», begründet Dr. med. Peter Peiler. 

Erstarkt ins Leben zurück

Die Vorstellung von Heilung ist oft zu abstrakt und nicht das prioritäre Ziel des Aufenthalts in der Klinik Meissenberg. Vielmehr soll es der Patientin nach Wochen intensiver Betreuung möglich sein, ihr Leben wieder selbstständig zu bewältigen. Stabilisierung ist ein wichtiges Stichwort. Sie bekommt die Möglichkeit, im vertrauten Umfeld in der Familie oder bei der Arbeit nicht mehr in immer denselben alten Mustern auf Probleme zu reagieren. Dr. med. Peter Peiler erläutert an einem Beispiel, was damit gemeint ist: «Nehmen wir eine Frau, die für die Familie und die Karriere des Mannes ihre eigenen Bedürfnisse immer zurückstellte und sich daran erschöpft hat. Wenn sie aus der Klinik nach Hause zurückkehrt, hofft der Mann vielleicht, dass sie wieder ganz die alte ist und zu ihrer langjährigen Routine zurückkehrt, und vielleicht sogar noch mehr leisten könnte. Die Patientin hat nun aber vielleicht gelernt, dass sie auch einmal «Nein» sagen und für sich selbst, ihre Bedürfnisse und ihre eigene Entfaltung einstehen kann».

 

«Achtsamkeit lässt mich rechtzeitig erkennen, wenn ich Gefahr laufe, nach dem üblichen – fatalen – Muster zu reagieren. Ich habe plötzlich neue Handlungsoptionen, was sehr entspannend ist.»

Dr. med. Peter Peiler

Der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik während einer schweren Krise ist eine Möglichkeit, sich mit Mitbetroffenen auszutauschen, und sich gut aufgehoben um die eigenen Interessen kümmern zu können, ohne von Alltagsverpflichtungen erdrückt zu werden. Langfristig kann er die Lebensqualität einer Patientin massiv verbessern und ihr die Möglichkeiten an die Hand geben, schwierige Situationen achtsamer und damit auch erfolgreicher zu bewältigen.

Text Hansjörg Honegger

Foto Unsplash